Deutscher Aikido-Bund DEUTSCHER AIKIDO-BUND e.V.

Als unser Trainer Thomas Clausen uns im Sommer letzten Jahres mitteilte, Barbara Oettinger hätte zugesagt, im nächsten Jahr einen Lehrgang bei uns abzuhalten, war ich im ersten Moment völlig sprachlos. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass sie als Präsidentin des DAB und In­haberin vieler anderer Ämter und Ehren­ämter sich Zeit nehmen könnte, für ein Wochenende den langen Weg aus Süd­deutschland an die Ostsee zu reisen, um bei uns in Grömitz einen Lehrgang zu lei­ten.
Als ich es dann fassen konnte, freute ich mich riesig über diese Neuigkeit. Die Dan-Herren mögen mir das bitte verzeihen und sich nicht diskriminiert fühlen: Ich hatte mir schon lange gewünscht, Barbara Oettinger einmal beim Aikido zu sehen, und war sehr gespannt darauf, wie bei einer 5.-Dan-Trä­gerin Aikido aussieht. Als sich dann zu un­serer großen Freude einige Monate später ergab, dass auch ihr Mann Thomas mit­kommen konnte und sie gemeinsam den Lehrgang leiten würden, hoffte ich, dass dieser Lehrgang mir vielleicht Antwort auf eine Frage liefern könnte, die mich schon längere Zeit beschäftigt: Ist Aikido bei Frauen und Männern wirklich gleich?
Nun am 10. April 2010 war das lang er­wartete und lang vorbereitete Wochenende gekommen. In den Eröffnungsworten stellte Barbara Oettinger ihren Mann als denjenigen vor, der sie vor langer Zeit zum Aikido gebracht hatte, und benannte ihn als ihren Meister. Thomas Oettinger ist ein langerfahrener Aikidoka, Lehrer und Meis­ter, der in diesem Jahr sein 30-jähriges Mattenjubiläum feiert. Ein Verein oder ein Verband bräuchte zwar auch Menschen, die ihn repräsentieren, aber vor allem auch Lehrer, die das Wissen weitergeben, und damit übergab sie ihrem Mann den Beginn des Lehrgangs.
An beiden Lehrgangstagen übten wir Techniken mit und ohne Jo. Zudem lernten wir eine kurze Jo-Kata, die synchron mit einem Partner ausgeführt werden konnte. Immer wieder betonten Thomas und Bar­bara dabei die Wichtigkeit des richtigen Ausweichens: Wir bewegen uns aus der Angriffslinie, weichen aus, bevor ein Schlag/Stoß trifft, bevor ein Würgegriff wirklich würgt, bevor ein Griff richtig greift. Wir nehmen den Angriff im Vorfeld auf und übernehmen selbst die Führung.
Den Jo(s) wurde es den gesamten Lehr­gang über genauso wenig langweilig wie uns Teilnehmern. Sie waren vielseitig im Einsatz. Wir verwendeten die Stäbe zur Massage, zum Jonglieren oder für Ge­schicklichkeitsübungen, in Spielen beim Aufwärmen, beim Vorwärts- und Rück­wärtsrollen und zu Dehnübungen, bei de­nen man sich zeitweilig fragte, wie denn der Knoten nun wieder aufgeht.
Die Jo-Kata nahm einen großen Teil des Lehrgangs ein. Oder kam mir das nur so vor, weil sie mich so fasziniert hat? Jeden­falls erlernten wir am ersten Lehrgangstag eine Hälfte davon, übten diese abschlie­ßend mit einem Partner und am nächsten Morgen fügte Thomas Oettinger nach einer kurzen Wiederholung den zweiten Teil dazu. Hier war es wieder, das Thema Aus­weichen. Nun sehr wichtig und an­schau­lich, denn einen Schlag oder Stoß wollte man sicher nicht abbekommen.
Nachdem der Ablauf ein paar Male hin­tereinander fließend geklappt hatte und ich mich nicht mehr ganz so auf meine Hände und Füße konzentrieren musste, fing ich an, die vor- und zurückschwingenden Be­we­gungen zu genießen. Diese gleichzeitig mit dem Partner ausgeführten Bewe­gun­gen, das gleichmäßige Vor- und Zurück­schwin­gen, zusammen mit dem Wechsel von An­spannung und Entspannung, hatten eine eigenartig fesselnde Wirkung auf mich. Einerseits forderte der Umgang mit dem Jo ein hohes Maß an Konzentration, aber an­dererseits hatte dieser fast wie­gen­de Rhythmus eine entspannende Wirkung. Als wir dieses Thema beendeten und zum nächsten Punkt übergingen, war es, als müsste ich ein Buch an einer spannenden Stelle zur Seite legen, um an­dere Dinge zu erledigen. Es dauerte etwas, bis ich davon loslassen und mich auf Neues einlassen konnte.
Der Umstand, dass zeitgleich in Ham­burg ein weiterer Lehrgang stattfand und unserer deshalb mit 43 Teilnehmern über­sichtlich geblieben war, war zwar schade, hatte aber auch seine guten Seiten. So hatten wir oft die Gelegenheit, von Thomas oder Barbara einen Kommentar, eine Kor­rektur oder Bestätigung zu erhalten. Und beim abendlichen großen Büffet in der Gildehalle entwickelte sich schnell eine äu­ßerst familiäre Atmosphäre, in der (unter anderem) viele gute Ideen entstanden.
Danträger zu werden ist ein langer Weg, aber ein guter Lehrer zu werden liegt nicht jedem im Blut. Ich habe Barbara und Thomas Oettinger als hervorragende Leh­rer empfunden und sie bilden ein gutes Team. Sie sind sich in ihrem Stil einig, ver­stehen es, die wesentlichen Dinge ver­ständlich zu erklären, Fehler sicher zu er­kennen und dabei auf die unterschied­lichen Entwicklungsstufen einzugehen. Beide besitzen die Gabe, freundlich zu korrigieren und dabei so geduldig, aber hart­nä­ckig zu bleiben, bis man die Technik, dem Kyu- oder Dan-Grad entsprechend, ver­standen hat.


Meisterin Barbara Oettinger als Uke
bei der Vermittlung von Kokyu-ho

Barbara Oettinger verbrachte während des Lehrgangs viel Zeit auf der Kinder­matte. Es gelang ihr spielend, die Kinder zu motivieren, auch wenn die Bewegungen, z. B. in der Jo-Kata schwierig wurden. Die Kinder waren allesamt begeistert von ihr. Ihnen war ganz sicherlich nicht bewusst, wer sich da so warmherzig und liebevoll um sie kümmerte. Der Satz: „Ich bin immer für euch an­sprechbar!“, mit dem Barbara Oettinger ihre Leitartikel im aikido aktuell abschließt, hat für mich seitdem eine tiefere Bedeu­tung bekommen.


Besondere Übungsform: Einen Shiho-nage mehrfach mit ständig (auch während der Angriffsphase) geschlossenen Augen  
durchzuführen, ist gar nicht so einfach.


Um auf meinen Versuch zurückzukom­men herauszufinden, ob es einen Unter­schied zwischen dem Aikido eines Mannes und dem Aikido einer Frau gibt, muss ich sagen: Meine Augen haben keinen er­kannt. Als ich mir das eingestand, war ich im ersten Moment irritiert, denn irgendwie hatte ich es erwartet. Aber im Nachhinein bin ich froh darüber. Aikido scheint, wenn man es denn lange genug trainiert hat und auch gut beherrscht, wirklich geschlechter­unabhängig zu funktionieren. Mein Weg dorthin ist allerdings noch sehr lang. Doch allein dieser Erkenntnis wegen hat sich für mich der Lehrgang sehr gelohnt.
Vielen herzlichen Dank an Barbara und Thomas Oettinger, dass Ihr uns dieses Wochenende mit Euch ermöglicht habt, es wird uns lange in Erinnerung bleiben.
Und ebenfalls einen großen Dank an den Organisator Thomas Clausen, der nun zukünftig, wenn er wieder ohne Hakama in der Küche werkelt, doch zumindest an der Kochmütze als Meister zu erkennen sein wird.

Anne Strack,
TSV Grömitz e. V.